Mit dem Panel „,Intimität vor der Kamera“ eröffneten wir den zweiten Tag auf der Green Actros Lounge in Berlin am 6. Mai 2022 im Haus Ungarn.

Die Green Actors Lounge fand am 5. & 6. März 2022
zum zweiten Mal im Haus Ungarn statt. An beiden Tagen fanden Paneltalks und
Workshops statt, alles zum Thema Nachhaltigkeit, Fairness, Gleichstellung und
Diversität in der Medienbranche.
Der zweite Tag der Green Actors Lounge wurde mit dem
Panel: „Intimität vor der Kamera“ eröffnet. Aufklärung in der Film-und
TV-Branche. Was machen Intimitätskoordinator:innen und wieso ist diese
Pionierarbeit so wichtig?

Geladen waren diesmal unter anderem Julia Effertz. Sie ist Schauspielerin, Autorin, Sprecherin und seit zwei Jahren Intimitätskoordinatorin für Film und TV. Immer mehr Produktionsfirmen nehmen die Hilfe von Intimitätskoordinatoren in Anspruch, wenn es um die Inszenierung von Sex- und Intimszenen, sowie die Darstellung sexualisierter Gewalt vor der Kamera geht.

Regisseur, Drehbuchautor und Filmproduzent Felix Fuchssteiner. Studierte an der HFF in München Regie. Mit der erfolgreichen Kinotrilogie „Rubinrot“, „Saphierblau“ und „Smaragdgrün“ trifft er genau den Nerv der jungen Zielgruppe. Er spricht über seine Erfahrungen mit Intimitätskoordinatoren und welche Diskussionen in der Branche noch notwendig sind.

In der Runde war noch Schauspielerin Sofie Eifertinger. Sie spielte die Hauptrolle in der Netflix
Serie „Kitz“. Wenn sie nicht am Filmset steht, sitzt sie in der Berliner FU und studiert Politikwissenschaften. Ihr Wissen um Machtstrukturen und die praktische Arbeit am Set gab uns in der Diskussionsrunde einen weiteren
Blickwinkel auf die Thematik.

Host des Panes war ich selbst, Bo Rosenmüller, Coach bei Your Era.
Jede:r Schauspieler:in wissen, wie schwer es ist Intimszenen zu drehen. Meist stehen noch mehrere Teammitglieder dabei, was die Entspannung erschwert. Wie schaffen es Spielende, emotional, transparent und durchlässig zu sein und sich dennoch zu schützen. Weder im Schauspiel- noch im Regiestudium wird man ausreichend auf das Drehen von Intimszenen vorbereitet.
Die Arbeit der Intimitätskoordinatoren ist vergleichbar mit der von Stuntkoordinatoren. Es wird eine Szene choreografiert und die Verletzungsrisiken minimiert. Wie bei einem Stunt probt man dann alle Schritte. Persönlichkeitsschutz und Arbeitsschutz der Künstler:innen stehen damit im Vordergrund.
Seit Beginn der MeToo-Debatte vor ca. 4 Jahren etablierte sich in den USA ein neuer Berufszweig: Intimacy Coach oder auch Intimacy Coorinator genannt. Julia Effertz ist eine der ersten Intimitätskoordinatorin in Deutschland und leistet Pionierarbeit auf diesem Gebiet. Bald wird man sich auch in Deutschland dazu aus- oder weiterbilden lassen können. Lehrprogramme sind schon im Aufbau.
Einige erinnern sich vielleicht noch an den Film „Der letzte Tango in Paris“, der vor 50 Jahren gedreht wurde. Da gibt es eine heftige Sexszene zwischen Marlon Brando und der damals 19-jährigen Maria Schneider. Der Regisseur, Bernardo Bertulucci und Brando hatten kurzfristig am selben Tag beschlossen, die Szene besonders authentisch wirken zu lassen, die Schauspielerin aber nicht darüber informiert. Wenn man’s genau nimmt, war es eine Vergewaltigung vor laufender Kamera. Die Szene sollte Maria Schneider nie vergessen. Bis zu ihrem Tod hat sie kein Wort mehr mit Bertulucci und Brando gesprochen.
„Grenzen dürfen auch im Namen der Kunst nicht überschritten werden!“
Die Aufgaben von Intimitätskoordinatoren sind, die Szenen zu planen zu choreographieren und abzusichern. Da der private Körper der Schauspieler:in im Spiel ist, muss dieser natürlich nicht nur vor äußeren Verletzungen, sondern auch vor inneren, also psychischen Verletzungen geschützt werden. Julia bezeichnet die Arbeit als „Tanz-Choreografie für besondere Momente“.
„Wenn bei einem Menschen die Intimsphäre verletzt wird, ist das erst mal nicht äußerlich sichtbar, wie bei einem Beinbruch.“ Außerdem sagt sie: „die private Intimität hat beim Drehen nichts zu suchen.“
Für den Regisseuren Felix Fuchssteiner, war die erste Arbeit mit einer Intimitätskoordinatorin für den Netflix Film „Das Privileg“ ein „Gamechanger“. Im Studium wird man nicht auf die Inszenierung von Intimszenen vorbereitet. Weder im Regie-Studium noch auf der Schauspielschule. Da die Regie bei den Intimszene einen Teil der Inszenierung in fremde Hände legt, ist gegenseitiges Vertrauen die absolute Basis einer Zusammenarbeit..
Schauspieler:innen sind darauf trainiert „JA“ zu sagen. Daher fällt es ihnen sehr schwer, unter Druck und bei den bestehenden Machtstrukturen am Set frühzeitig Grenzen für sich zu setzen.
Intimitätskoordinatoren sind in den Augen von Sofie Eifertinger nicht nur hilfreich für die Koordination von Intimszenen, sondern auch Vertrauensperson, an die sich Spielende wenden
können. Was ihr hilft, gesunde Grenzen zu setzen, ist die Tatsache, dass
„Neinsagen“, kein Scheitern bedeutet. Sie steht zu ihren Grenzen und ist stolz
darauf, wenn sie diese verteidigt. Außerdem verändern Intimitätskoordinatoren
die Beziehungsdynamik im Team. „Achtsamkeit ist ansteckend“ sagt Sofie.
Bei der authentischen Darstellung bestimmter Communities, wie zum Beispiel Intimszenen zwischen Gleichgeschlechtlichen oder Transgender recherchiert Julia auch schon mal im Freundeskreis oder befragt Nachbarn und Bekannte nach deren Erfahrungen.
Die Erkenntnis aus diesem Panel ist, dass jede:r Schauspieler:in Schwierigkeiten haben darf, sich nackt zu zeigen oder beim Dreh von Intimszenen. Das ist absolut natürlich, da man über seine persönlichen Intimgrenzen geht.
Den gesamten Panel Talk könnt ihr euch auf YouTube ansehen.
Bo Rosenmüller, Coach Your Era